Das Fremde als Chance − Begleitmaterial zur Fotoausstellung

Zur Ausstellung gibt es ein Begleitmaterial, das viele Anregungen für die Arbeit mit der Ausstellung gibt, aber auch unabhängig von der Ausstellung genutzt werden kann und gute didaktische Anregungen für die Auseinandersetzung mit verschiedenen Fragen enthält. Drei thematische Blöcke werden in dem Material vertieft. Zu jedem inhaltlichen Schwerpunkt gibt es eine Einführung für die Lehrkraft und Arbeitsblätter als Kopiervorlagen.

"Mich hat betroffen gemacht, dass wir Europäer ein falsches Bild von den Bewohnern Sansibars haben."
 
"Für mich war neu, dass die Menschen dort gar nicht so altmodisch sind, wie ich dachte. Außerdem wusste ich vorher nichts über den Islam."
 
"Für mich war neu, dass die Menschen in Sansibar hauptsächlich Moslems sind. Ich hatte mir vorgestellt, dass es in Afrika eine andere, lockere Art von Religion gibt."
 
Menschen wie du und ich
 
Die Grundidee beruht auf der Begegnung. Sansibar ist eine überwiegend muslimisch geprägte Insel. 97 % der InselbewohnerInnen sind Muslime. Die SchülerInnen begegnen den Menschen in ihrem Alltag und stellen bald fest, dass Religion nur eine von vielen Prägungen ist, die einen Menschen ausmacht. In erster Linie begegnen wir Menschen, die neben ihrer religiösen Zugehörigkeit genau wie wir noch andere Lebensinhalte haben, die Eltern sind oder Kinder, die lieben oder trauern, die als Maurer oder Polizisten arbeiten, als DJs oder Verkäuferinnen, die arbeitslos sind oder schon in Rente, die Computerfreaks oder Fußballfans sind und letztlich ihre Religion mehr oder weniger ernst nehmen. Das Lernziel dieses Themenblocks ist, den TeilnehmerInnen eine differenzierte Sichtweise auf die Religion des Islam und das Leben von Muslimen zu vermitteln. Durch die Auseinandersetzung mit dem Islam können Vorurteile abgebaut und Kenntnisse über den Islam gewonnen werden. Die TeilnehmerInnen werden geschult, fremde Kulturen und Religionen in Beziehung zu ihrer eigenen Erfahrungswelt, den Normen und Werten in dieser Gesellschaft zu setzen und dabei Unterschiede zu benennen, aber auch Gemeinsamkeiten zu erkennen.
 
Ergänzende Hintergrundinformationen zum Islam können unter www.islam.de recherchiert werden.
 
Sansibar – global "Für mich war neu, dass Sansibar ein wichtiges Exportland ist."
 
"Mich hat betroffen gemacht, dass die Sansibaris die Hotelgelände nicht betreten dürfen."
 
In diesem Block gehen wir der Frage nach, welche Rolle eigentlich eine kleine Insel wie Sansibar im Zeitalter der Globalisierung spielt. Natürlich sind auch hier Folgen der Globalisierung spürbar und durch die Produktion von Gewürznelken, von Seetang, den Verkauf deutscher Altkleider und durch den Tourismus sind wir auch wirtschaftlich mit der Insel verbunden. Welche Konflikte entstehen dadurch und welche Bewältigungsstrategien haben die Sansibaris entwickelt? Wie ist das Verhältnis zwischen eigen- und fremdbestimmter Entwicklung und letztlich, was können wir, jede/r Einzelne von uns dazu beitragen, dass diese Entwicklung ein Stück gerechter für Mensch und Umwelt im Sinne einer zukunftsfähigen Entwicklung wird? In diesem Themenfeld werden die SchülerInnen auch mit Handlungsoptionen vertraut gemacht, sie denken über Verschuldung nach und lernen verschiedene entwicklungspolitische Kampagnen kennen. 
 
Gekreuzte Geschichte(n)
 
Im dritten Themenfeld stehen wieder Begegnungen im Vordergrund. Es werden Berührungspunkte zwischen Menschen aus Tansania und Deutschland anhand von biografischen Geschichten gesucht, die sich zahlreich in beider Länder Geschichte finden lassen. Wie sahen Begegnungen in der Vergangenheit aus? Wie haben diese Geschichten oder diese Menschen die Geschichte mit geprägt und welcher Art sind Begegnungen von heute?
 
Mohammed Husen
 
Mohammed Husen
Ein Beispiel ist die Lebensgeschichte von Mohammed Husen, ein Mann, der in Ostafrika geboren, im Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite gekämpft hat und später nach Deutschland ausgewandert ist. Hier arbeitete er zunächst als Kellner, später als Schauspieler und Sprachlehrer. Die Nationalsozialisten hatten noch lange das Ziel, die ehemaligen deutschen Kolonien zurück zu gewinnen. Um auch in der Bevölkerung diesen Traum aufrecht zu erhalten, wurden bis 1942 in Deutschland schätzungsweise 100 Filme gedreht, die in Afrika spielen. Schwarze MigrantInnnen in Deutschland wurden für diese Propagandafilme benutzt und hatten so für die erste Zeit ein Auskommen. Spätestens 1942, als sich abzeichnete, dass der 2. Weltkrieg nicht zu gewinnen ist, gab man koloniale Träume auf. Mohammed Husen wurde aus rassistischen Gründen ins Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht, wo er starb.
 
Eine andere Geschichte beschreibt die Ankunft der Europäer in Ostafrika aus literarischer Perspektive. Zitate aus dem Roman: „Das verlorene Paradies“ von Abdulrazak Gurnah machen deutlich, mit welcher Brutalität die Deutschen Besitz von einem Land genommen haben. Abdulrazak Gurnah wurde 1948 in Sansibar/Tansania geboren. Er lehrt heute als Professor für postkoloniale Literatur an der Universität Kent. Das verlorene Paradies ist sein vierter Roman. Quelle: Abdulrazak Gurnah: Das verlorene Paradies. Frankfurt am Main, 1998 (ISBN: 3-596-14058-7).
 
"Wo auch immer sie hinzogen, überall mussten sie feststellen, die Europäer waren ihnen zuvorgekommen, hatten Soldaten und Beamte eingesetzt, die den Leuten erzählten, sie seien gekommen, um sie vor ihren Feinden zu schützen, die nur danach trachteten, Sklaven aus ihnen zu machen. Wenn man sie so reden hörte, war es, als hätte es nie einen anderen Handel gegeben. Die Kaufleute sprachen mit Verwunderung von den Europäern, eingeschüchtert von ihrer Wildheit und Rücksichtslosigkeit. Sie nehmen sich das beste Land, ohne auch nur eine Glasperle dafür zu bezahlen, bringen die Leute mit dieser oder jener List dazu, für sie zu arbeiten, essen alles und jedes, egal, wie zäh oder faulig es ist. Ihr Appetit kennt keine Grenzen und keinen Anstand, wie ein Heuschreckenschwarm. Steuern für dies, Steuern für das, sonst heißt es Gefängnis für den Missetäter oder die Peitsche oder sogar den Strang. Als erstes bauen sie ein Gefängnis, dann eine Kirche, dann einen Verschlag auf dem Markt, um den Kauf und Verkauf im Auge behalten und dann besteuern zu können. Und das, noch ehe sie ein Haus für sich selber bauen, um darin zu wohnen. Hat man je so etwas gehört? Sie tragen Gewänder aus Metall, aber ohne sich wund zu scheuern, und halten es tagelang ohne Schlaf und Wasser aus. Ihre Spucke ist giftig. Wallahi, das schwöre ich euch. Sie verbrennt Dein Fleisch, wenn sie auf Dich spritzt. Die einzige Möglichkeit, einen von ihnen zu töten, ist es, ihm ein Messer in die linke Achselhöhle zu stoßen, aber das ist nahezu unmöglich, denn an dieser Stelle tragen sie einen dicken Schutzpanzer." (S. 100f.)
 
Wieder andere Texte beleuchten aktuelle Erfahrungen, zum Beispiel von deutschen EntwicklungshelferInnen, die mehrere Jahre in Tansania gelebt und gearbeitet haben oder aber die eines tansanischen Lehrers, der im Rahmen eines Austauschprojekts Deutschland besuchte.
 
"Ich wüsste gern noch mehr über die Einstellungen der Menschen in Sansibar über Europa."
 
"Ich war sehr glücklich, Deutschland 1998 besuchen zu dürfen. Die GSE und die RAA luden einige Lehrer als Teil eines Austausches ein. Wir sollten Informationen von Deutschland aus erster Hand erhalten. Dort lernten wir sehr viel über das Land und natürlich die Leute. Da verstand ich auch, warum die jungen Leute, die unsere Dörfer besuchten, so schockiert über unsere Armut waren, die Krankheiten, Ignoranz und Kinderehen.
 
In Deutschland ist die Bildung sehr wichtig. Jede Familie sieht es als ein Muss, die Kinder in die Schule zu schicken, was besonders wichtig ist für das zukünftige Wohlergehen des Menschen in der Gesellschaft. Die Kinder bekommen besondere Prioritäten, nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause. Die ganze Familie ist so aufgebaut, dass es dem Kind zu Gute kommt. So kann es lernen und die Dinge praktisch umsetzen. Daher bekommen die Kinder das Recht zu fragen und ihre Meinung zu sagen, was bei uns anders ist, wo den Kindern nicht zugehört wird und sie keine Entscheidungen innerhalb der Familie treffen dürfen. In deutschen Familien haben auch die Kinder etwas zu sagen. Zum Beispiel können die Kinder ihren Eltern über erste Freunde und Freundinnen berichten und sie nach Hause einladen.
 
Manchmal tragen sie kaum Kleidung im Haus oder rennen halbnackt vor den Eltern oder den Nachbarn herum. In unseren Familien sind diese Dinge Tabus.
 
Immer wieder habe ich bemerkt, dass es in den Familien, die ich besuchte, viel Harmonie gibt. Die Familien sind zwar verglichen mit unseren Familien sehr klein, aber man sieht die Liebe zwischen den Familienmitgliedern. Das Leben ist sehr systematisch, daher sind auch die Häuser sehr sauber. Ob in der Küche, im Bad oder der Stube, es ist alles schön arrangiert. In allen Familien, wo ich wohnte (Berlin, Bornow, Blankenburg), war alles sauber. Der Abfall wird in bestimmte Container getan. Daher sind auch die Straßen sauber. Man kann die Entwicklung sehen, die aus einer guten Planung resultiert. Die Menschen folgen bestimmten Gesetzmäßigkeiten in ihrem Leben. Sie schmeißen Dreck nicht überall hin. Auch in den Häusern gibt es bestimmte Gesetze, anders als in Sansibar, wo Leute überall ihre Häuser bauen und das auch noch sehr unordentlich."