Kisiwani − Entwicklung für Afrika, ein entwicklungspolitisches Planspiel

"Am schönsten wäre es noch gewesen, einen Tag in Sansibar, z.B. als Rollenspiel nachzustellen, um darüber noch etwas zu erfahren."

Wer möchte nicht gern einmal PräsidentIn eines Landes sein? Ausgelöst von Diskussionen mit ehemaligen TeilnehmerInnen entstand die Idee, ein Planspiel zu konzipieren, dass die komplexen Zusammenhänge in Entwicklungsprozessen in einem afrikanischen Land verdeutlicht. Wer vertritt dabei eigentlich welche Interessen? Und welche Rolle spielen Nichtregierungsorganisationen, wie die RAA Brandenburg e.V., die Schulbauprojekte auf Sansibar umsetzt?
 
Entstanden ist ein sehr komplexes Planspiel über Entwicklungsprozesse in Afrika, das gemeinsam mit Ronald Höhner von der Rosa-Luxemburg-Stiftung weiter entwickelt wurde. Dabei bildet Sansibar zwar die Grundlage für das Datenmaterial, aber da die Situation exemplarisch auch für andere Länder ist, haben wir den Namen geändert: Kisiwani (Kiswahili = Auf der Insel).
 
Im Planspiel Kisiwani wird eine komplexe politische und ökonomische Situation in Zeiten der Globalisierung simuliert. Auf der ostafrikanischen Insel Kisiwani ist nach einer Klimakatastrophe die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur der Insel zerstört. Die Regierung der Insel muss nun, um einem totalen wirtschaftlichen Kollaps auszuweichen, Konzepte für eine Entwicklung vorlegen. Sie hat dazu die Kisiwani Investment Promotion Agency (KIPA) beauftragt, ein Konzept zu entwickeln, das Investoren aus aller Welt anlocken soll. Kisiwani ist zudem hoch verschuldet. Die wichtigsten Kreditgeber sind Deutschland und die Weltbank. Die Weltbank würde das KIPA-Konzept mit einem Kredit unterstützen.
 
Aber nicht alle Beteiligten halten diese Entwicklung für gut. Der Ausbau von Tourismus und Industrie sowie die Ausweitung von landwirtschaftlichen Monokulturen, wie Blumenplantagen u.ä., würden die traditionellen Lebensformen zerstören und der Bevölkerung keine Verbesserung ihrer Lebenssituation bringen. 
Planspiel Regierung
 
Planspiel Regierung
 
Im Spiel sind folgende Gruppen vertreten: die Regierung Kisiwanis, die KIPA, die Opposition, die Dorf- und die Stadtbevölkerung. Im Spiel gibt es noch zwei deutsche Gruppen, das Entwicklungsministerium der Bundesregierung Deutschland und eine Nichtregierungsorganisation. Überregional agiert eine unabhängige Presse, die mit einer Wandzeitung und Polaroidfotos für alle präsent ist.
 
Besondere Kleidungsstücke, die Ausstattung des Arbeitsplatzes, konkrete Aufgaben und ausgewählte Privilegien tragen zur Charakterisierung der jeweiligen Rolle bei /charakterisieren die jeweilige Rolle und erleichtern den emotionalen Einstieg in die Rolle. Jede Gruppe überlegt sich in einer ersten Phase eine Strategie für die Entwicklung Kisiwanis und tritt dann mit den anderen Gruppen per Brief in Kontakt. Am Ende des Spiels sollen die Gruppen sich auf einer Inselkonferenz über die zukünftige Entwicklung einigen.
 
Aus der Auswertung eines Planspiel-Einsatzes, an dem mehr als 30 Jugendliche zwischen zwölf und 18 Jahren während der Ferien teilnahmen:
 
"... Die Bauern des Dorfes Kijiji bemängelten, dass sie kaum Zeit hatten, sich inhaltlich mit den Fragen zu beschäftigen und die Angebote der Bibliothek überhaupt nicht nutzen konnten, weil sie ihre ganze Zeit auf dem Feld oder beim Fischen verbrachten. (In der Rollenbeschreibung steht, dass jede/r Dorfbewohner/in zur Erbringung des Lebensunterhalts pro Stunde 40 Fische und 60 Ähren malen muss.). Die benachteiligten "ärmeren" Gruppen mussten zusehen, wie sich die "Reichen" problemlos zu Konferenzen treffen, während sie mühsam versuchen, Geld für Tickets zusammen zu bekommen. Da das Mittagessen ins Spiel einbezogen war, mussten die DorfbewohnerInnen ebenfalls zusehen, wie die Vertreter ihrer Regierung und auch die Deutschen gut zu essen hatten, während sie lang auf trockenen Reis warteten. Diese Situation wurde als sehr frustrierend empfunden, besonders als die NRO-VertreterInnen anfingen, ihre Essensreste zu spenden. 
 
Allerdings wurde diese Realitätsnähe als besonders positiv bewertet. Durch die Utensilien, (Kleidungsstücke, Namensschilder, Ausstattung) gelang es vielen, sich gut in die Rolle zu versetzen. Die Komplexität, die Rolle von Macht und Geld und die Langwierigkeit von Entscheidungsprozessen konnte sehr gut nachvollzogen werden. Es wurde auch deutlich, dass die Entwicklung aus den unterschiedlichen Perspektiven (Dorf - Regierung - NRO) verschieden bewertet wurde und unterschiedliche Prioritäten gesetzt wurden. Je weiter die TeilnehmerInnen von der betroffenen Region weg waren, desto weniger hatten sie ein Gefühl dafür, was die Menschen im Süden wirklich brauchen.
 
Verschiedene inhaltliche Schwerpunkte, wie die Einrichtung einer Exportförderzone, den Anbau von Monokulturen, Tourismus und Ausbau von Straßen wurden sehr kontrovers diskutiert. Alle TeilnehmerInnen waren - anders als in der Realität - sehr kompromissbereit. Nur in einer Gruppe, der Nichtregierungsorganisation, war der Frust sehr groß. Die Mitglieder der NRO hatten viele gute Ideen und Vorsätze, wie sie den Menschen von Kijiji helfen wollen. Diese reagierten auf die Ideen nicht so positiv wie erwartet. Die Beschaffung der für die Projekte notwendigen Gelder war äußerst schwierig, so dass zur Mitte der Spielzeit die Stimmung umkippte und die NRO sich Terrorismus (konkret die Entführung des Lufthansa-Chefs) als letzte Alternative wählte. Auch diese Entwicklung, wenn auch extrem, ist nicht unrealistisch und eine weiter führende Diskussion über die Entstehung von Terrorismus wäre sicher spannend geworden. 
Planspiel Presse
 
Planspiel Presse
 
Als besonders attraktiv wurde die Rolle der Presse wahrgenommen. Diese konnte sich frei bewegen und hatte Zugang zu allen Gruppen und Informationen. Obwohl sie sich selbst als unabhängig einstuften, wurden sie von allen Gruppen als parteiisch bewertet. Meldungen der Regierung würden eher veröffentlicht oder auch auf die Regierung wird immer nur geschimpft – laut Presse war das keine Absicht, sondern ganz zufällig nach jeweiligem Stressfaktor, der in der Pressegruppe sehr hoch war. ..."
 
Zusätzliche Rollen, wie die Weltbank, alternative Investoren, die Lufthansa, die deutsche Bevölkerung wurden durch die Spielleitung wahrgenommen.
 
Definition Planspiele
 
Planspiele gehören zu denjenigen erfahrungsbezogenen und handlungsorientierten Lern- und Arbeitsmethoden, die – wenn gut gemacht – das Potenzial haben, Menschen ganzheitlich zu motivieren, in politischen, sozialen, interkulturellen u.a. Zusammenhängen und Kontexten gezielt aktiv zu werden, Verhältnisse zu ändern und Lebens- und Arbeitsbezüge konstruktiv und realitätsbezogen zu gestalten.
 
Planspiele verbinden Lebensrelevanz und Realitätsbezug auch bei der Arbeit an schwierigsten Themen mit dem Lustprinzip (Spiel, Simulation), ohne zum Gesellschaftsspiel abzugleiten. Realität wird simuliert und nutzt so die emotionalen Energien des Rollenspiels, um bisherige Kenntnisse, Kreativität und Konstruktivität zu mobilisieren und für die Problemlösung einzusetzen.
 
Als Methode gehen Planspiele über solche Verfahren und Arbeitsformen hinaus, die lediglich Informationen und "Kulturtechniken" im weitesten Sinne vermitteln, und trainieren im Vollzug – also fast nebenbei – wichtige Fähigkeiten für das menschliche Zusammenleben und –arbeiten, wie die kommunikative, soziale, interkulturelle, ethisch/moralische und politische Kompetenz.
 
Damit ist es eine Lernmethode, die sowohl die Thematik ganzheitlich beleuchtet (z.B. die sozialen, kulturellen, ethischen Zusammenhänge und Implikationen eines wirtschaftlichen Sachproblems) als auch die Zielgruppen auf verschiedenen Ebenen ansprechen kann. D.h. die TeilnehmerInnen lernen nicht nur sachbezogene Inhalte kennen sondern haben Gelegenheit, diese auch kritisch zu verarbeiten und zu reflektieren und sich persönlich mit ihnen auseinanderzusetzen. Im Verlauf eines solchen Prozesses kann auch ein Stück Persönlichkeitsreifung bzw. –bildung geschehen, die für einen selbständigen und kritischen Umgang sowohl mit Themen als auch Personen nützlich sein können, die in der Auswertung bewusst gemacht werden können.
 
Die fachliche Stoffvermittlung leidet zum Teil enorm unter dem hohen Abstraktions- und Reduktionsgrad. Es sind für die Schaffung einer spielbaren Problemsituation Realitätsverformungen und Auslassungen eigentlich wichtiger Aspekte notwendig. Als Beispiel sei das nicht vermittelbare jahrzehntelang gewachsene Beziehungsgeflecht genannt, das Entscheidungen durch Sympathie und Antipathie, moralische Schuld oder strategischen Überlegungen in der Realität nicht eindimensional und rational gestaltet. Außerdem ist in Planspielen die Informationsbeschaffung wesentlich erleichtert und diese auch zielgerichtet vorsortiert. Aus den eindimensionalen Konfliktfeldern resultieren Entscheidungen unter relativ wenigen Nebenbedingungen und mit linearen Konsequenzen. Dies ist realitätsverzerrend und muss unbedingt nach Beendigung des Planspiels besprochen werden. Denn der Eindruck, dass die angerissenen Probleme eigentlich in wenigen Stunden lösbar seien, ist kontraproduktiv. Alles in allem müssen die Erwartungen und Ansprüche an die Methode, wenn es um das Lernziel "Stoffvermittlung" geht, deutlich reduziert werden. Das Planspiel ist aber ein sehr guter Einstieg in ein Thema und kann Interesse für weitergehende Erörterungen wecken.